Journal Lesetipps Wiki E-Mail info@sokrates.jetzt

Neuester Artikel im Sokrates Jetzt Journal: »Du kannst die anderen nicht ändern, nur dich selbst«

Von Neumann Mobbing – wenn Schuld sich selbst reproduziert

John von Neumann. Foto: LANL, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen

Von Neumann #Mobbing – wenn Schuld sich selbst reproduziert

#Gütersloh, 24. Oktober 2025

Vorspann

Gerüchte sind so alt wie die Sprache selbst. Doch im Zeitalter der beschleunigten Kommunikation hat sich eine neue Form entwickelt – subtil, selbstlaufend, schwer greifbar.

Sie braucht keine Beweise, keine Handlung, keinen Skandal: ein Satz genügt.

So entsteht ein soziales System, das Schuld verteilt, bevor überhaupt etwas geschehen ist – ein Kommunikationsvirus, das sich selbst kopiert.

Der Satz, der alles startet

Es gibt Kommunikationsmuster, die so schlicht wirken, dass man sie für harmlos hält – bis man erkennt, wie perfekt sie gebaut sind.

Eines davon ist die a priori Schuldumkehr: Ein Gerücht, das sich nicht auf ein Ereignis bezieht, sondern das Ereignis erst erzeugt.

Ein einziger Satz genügt: »Mit denen wäre ich vorsichtig.«

Mehr braucht es nicht.

Er enthält keine überprüfbare Information, nur ein Signal. Doch dieses Signal reicht, um Verhalten auszulösen: Distanz, Vorsicht, Schweigen.

Die Vorsicht wiederum dient als Beweis für die ursprüngliche Warnung.

Das System schließt sich selbst.

Die #Selbstbestätigungsmaschine

So entsteht, was man als Selbstbestätigungsmaschine bezeichnen kann – ein soziales #Perpetuum #mobile, das ohne äußeren Antrieb läuft.

Psychologisch nutzt es zwei alte Reflexe: die Angst vor Konflikt und den Wunsch, dazuzugehören.

Wer warnt, wirkt umsichtig; wer vorsichtig wird, bestätigt die Warnung.

Niemand lügt, und doch entsteht eine kollektive Täuschung.

#Von #Neumann #Sonden im sozialen Raum

In der Sprache der #Informationstheorie und #Systemtheorie könnte man von »Von Neumann Mobbing« sprechen – benannt nach John von Neumann, der das Konzept selbstreplizierender Maschinen entwickelte.

In der #Astrophysik wird diese Idee als »Von Neumann Sonde« diskutiert: eine #Raumsonde, die sich an ihrem Zielort selbst vervielfältigt und ihre Kopien weiterschickt, bis der gesamte #Kosmos gefüllt ist.

Übertragen auf soziale Kommunikation funktioniert das genauso: Einmal ausgesandt, kopiert sich das Narrativ selbst, indem Menschen es wiederholen.

Jede Weitergabe ist eine neue Sonde, die denselben Code trägt – das Signal »Achtung«.

Die ursprüngliche Quelle kann längst verschwunden sein; der Prozess läuft weiter, blind und effektiv.

#Information wird #Rauschen

Physikalisch betrachtet verwandelt sich Information in Rauschen.

Es gibt keine echte Nachricht, keine Daten über die Wirklichkeit – nur die Wiederholung des Alarms.

Dieses Rauschen verdrängt Inhalte, bis nur noch Atmosphäre bleibt.

Das ist die eigentliche Eleganz der Methode: Sie lebt von Leere.

Der #Schwarm und die #Angst vor #Abweichung

Biologisch lässt sich das mit einem #Heringsschwarm vergleichen.

Ein einzelner #Fisch ändert minimal die Richtung; die Nachbarn reagieren, und in Sekunden bewegt sich der ganze Schwarm.

Nicht, weil er weiß, wohin – sondern weil Bewegung selbst zur Information geworden ist.

Der einzelne Fisch, der nicht mitdreht, fällt auf, gilt als abweichend oder gefährlich.

In menschlichen Gruppen ist das nicht anders: Wer nachfragt, wird verdächtig.

Die Eleganz der Leere

Die »A priori Schuldumkehr« nutzt diese #Schwarmlogik.

Sie ersetzt Argumente durch Resonanz, Verantwortung durch Nachahmung.

Der ursprüngliche Urheber kann sich zurücklehnen – das System arbeitet allein.

Was bleibt, ist eine Spur aus Misstrauen, deren Ursprung niemand mehr kennt.

Das einzige Gegenmittel

Gegenmittel? Nur Bewusstheit.

Wer ein solches Warnsignal hört, sollte nicht fragen »Ob es stimmt?«, sondern »Warum wird mir das erzählt – und warum jetzt?«

Denn sobald man das Muster erkennt, verliert es seine Macht:

Der #Automat braucht Mitspieler, um sich zu erhalten.

Ohne #Resonanz bricht er in sich zusammen.

Schlussbetrachtung

Wie Von Neumanns hypothetische Sonden brauchen auch soziale #Narrative #Ressourcen.

Sie leben vom Vertrauen derer, die sie weitergeben.

Und wenn dieses Vertrauen aufgebraucht ist, bleibt nur Leere – ein Kommunikationsraum, in dem niemand mehr weiß, woran er glaubt.

Am Anfang funktioniert das System brillant – jede Wiederholung zieht neue Mitspieler an.

Doch mit jeder Kopie sinkt die Dichte an Sinn; das soziale »Ökosystem« verarmt.

Irgendwann beginnen die Sonden, also die weitergetragenen Narrative, einander zu widersprechen, konkurrieren um Aufmerksamkeit und fressen die eigene Quelle: Das ursprüngliche Thema verschwindet, zurück bleibt ein allgemeines Misstrauen.

Menschen glauben nichts mehr – auch keine Wahrheit.

Die Kommunikationslandschaft wird entvölkert, wie eine Galaxie, die ihre Sterne verbrennt.

Das ist der selbst kannibalisierende Endzustand der »A priori Schuldumkehr«: Ein #Netzwerk, das von Misstrauen zusammengehalten wird, zerfällt an sich selbst.